Das vereinbarte Schiedsgutachten – und die trotzdem erhobene Klage

Haben die Parteien hinsichtlich eines Anspruchs oder einzelner Anspruchsvoraussetzungen eine Schiedsgutachtenvereinbarung getroffen, ist regelmäßig anzunehmen, dass die Einholung des Schiedsgutachtens in den im Vertrag bestimmten Fällen Anspruchsvoraussetzung ist. Eine vor Einholung des Schiedsgutachtens erhobene Klage, die auf den Anspruch gestützt wird, dessen Inhalt oder dessen Voraussetzungen durch ein Schiedsgutachten festgestellt werden sollen, ist daher nicht als endgültig, sondern allenfalls als verfrüht, also „als zur Zeit unbegründet“ abzuweisen[1].

Das vereinbarte Schiedsgutachten – und die trotzdem erhobene Klage

In einem solchen Fall liegt es im Ermessen des Tatrichters, von einer sofortigen Klageabweisung „als zur Zeit unbegründet“ abzusehen und zunächst entsprechend §§ 356, 431 ZPO eine Frist zur Beibringung des Schiedsgutachtens zu setzen[2].

Schiedsgutachten im engeren Sinne, auf die §§ 317 ff. BGB entsprechend anwendbar sind, dienen vor allem dazu, den von den Parteien zwar objektiv bestimmten, aber nur mit einer gewissen Sachkunde feststellbaren Vertragsinhalt zu ermitteln. Es handelt sich um privatrechtlich vereinbarte Sachverständigengutachten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die der Klärung oder Feststellung von Tatsachen dienen, so beispielsweise auch der Feststellung von Mängeln und der Kosten für ihre Beseitigung. Dabei erkennen die Parteien die durch das Schiedsgutachten zu treffende Bestimmung bis an die Grenze der offenbaren Unrichtigkeit als verbindlich an[3].

Einem Gutachten kann die Eigenschaft eines Schiedsgutachtens nicht zuerkannt werden, wenn der Gutachter wesentliche Feststellungen (hier: zu den Voraussetzungen des Zahlungsanspruchs der Klägerin gegen die Beklagte) nicht selbst getroffen hat.

Jedoch ist es rechtsfehlerhaft, die Klage in einem solchen Fall als endgültig unbegründet abzuweisen.

Haben die Parteien hinsichtlich eines Anspruchs oder einzelner Anspruchsvoraussetzungen eine Schiedsgutachtenvereinbarung getroffen, ist regelmäßig anzunehmen, dass die Einholung des Schiedsgutachtens in den im Vertrag bestimmten Fällen Anspruchsvoraussetzung ist. Eine vor Einholung des Schiedsgutachtens erhobene Klage, die auf den Anspruch gestützt wird, dessen Inhalt oder dessen Voraussetzungen durch ein Schiedsgutachten festgestellt werden sollen, ist daher nicht als endgültig, sondern allenfalls als verfrüht, also „als zur Zeit unbegründet“ abzuweisen[4]. In einem solchen Fall liegt es darüber hinaus im Ermessen des Tatrichters, von einer sofortigen Klageabweisung „als zur Zeit unbegründet“ abzusehen und zunächst entsprechend §§ 356, 431 ZPO eine Frist zur Beibringung des Schiedsgutachtens zu setzen[5].

Nach diesen Maßstäben war im hier entschiedenen Streitfall das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts München[6] rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München II, mit dem die Klage abgewiesen worden ist[7], zurückgewiesen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist dahin auszulegen, dass es die Abweisung der Klage als endgültig unbegründet bestätigt hat. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich ausgeführt, die Klage sei unbegründet. Anhaltspunkte dafür, dass es die Klage nur als derzeit unbegründet angesehen hat, lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen, ohne dass Tenor oder Gründe dieser Entscheidung einen Hinweis darauf enthalten, es habe – abweichend von dem Urteil des Landgerichts – eine Klageabweisung „als zur Zeit unbegründet“ aussprechen wollen.

Da auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen das von den Parteien als Anspruchsvoraussetzung vereinbarte Schiedsgutachten bislang nicht vorgelegt wurde, ist die Klage zu Unrecht als endgültig unbegründet abgewiesen worden. Auch die Auffassung des Berufungsgerichts, es sei nicht ersichtlich, auf welcher zivilprozessrechtlichen Grundlage der Klägerin Gelegenheit hätte gegeben werden sollen, ein ergänztes und damit den Anforderungen des im Vorprozess geschlossenen Prozessvergleichs genügendes Schiedsgutachten vorzulegen, erweist sich danach als unzutreffend.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist nicht aus anderen Gründen richtig (§ 561 ZPO). Eine Klageabweisung als endgültig unbegründet wäre insbesondere auch dann nicht gerechtfertigt, wenn die Einholung eines den Anforderungen der Ziffer – IV des Prozessvergleichs genügenden Schiedsgutachtens des Streithelfers – was indes bislang nicht festgestellt ist – unmöglich geworden wäre.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs scheidet eine Klageabweisung (sowohl als endgültig unbegründet als auch „als zur Zeit unbegründet“) wegen Nichtvorlage eines vereinbarten Schiedsgutachtens aus, wenn im Laufe des Prozesses festgestellt wird, dass die Einholung des Schiedsgutachtens durch den von den Parteien vorgesehenen Schiedsgutachter unmöglich geworden ist. Vielmehr ist in einem solchen Fall § 319 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB entsprechend anzuwenden. Nach dieser Vorschrift ist die einem Dritten übertragene Bestimmung der geschuldeten Leistung durch gerichtliches Urteil vorzunehmen, wenn der Dritte die Bestimmung nicht treffen kann oder will, oder wenn er sie verzögert. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass die Leistung immer dann durch das Gericht bestimmt werden soll, wenn sich die von den Vertragsparteien in erster Linie gewollte Bestimmung durch einen Dritten als nicht durchführbar erweist[8].

Sofern das Berufungsgericht im weiteren Verfahren zu der Feststellung gelangt, dass die Erstellung eines Schiedsgutachtens gemäß Ziffer – IV des Prozessvergleichs durch den Streithelfer unmöglich geworden ist, weil dieser das Schiedsgutachten nicht erstellen kann oder will, und ein Ersatzgutachter nach den Vereinbarungen der Parteien nicht bestimmt werden kann, wird es die Leistungsbestimmung – voraussichtlich mit Hilfe eines Sachverständigen – daher selbst zu treffen haben.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. März 2021 – VII ZR 196/18

  1. im Anschluss an BGH, Beschluss vom 24.11.2005 – VII ZB 76/05, BauR 2006, 555 = NZBau 2006, 173[]
  2. im Anschluss an BGH, Urteil vom 08.06.1988 – VIII ZR 105/87, NJW-RR 1988, 1405[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2013 – III ZR 10/12 Rn. 13, NJW 2013, 1296 m.w.N.; BGH, Urteil vom 22.04.1965 – VII ZR 15/65, BGHZ 43, 374 33; Grüneberg in: Palandt, BGB, 80. Aufl., § 317 Rn. 6[]
  4. allg. Meinung; vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 24.11.2005 – VII ZB 76/05, BauR 2006, 555 = NZBau 2006, 173 13; BGH, Urteil vom 08.06.1988 – VIII ZR 105/87, NJW-RR 1988, 1405 32 m.w.N.; Grüneberg in Palandt, BGB, 80. Aufl., § 317 Rn. 3[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 08.06.1988 – VIII ZR 105/87, NJW-RR 1988, 1405 33[]
  6. OLG München, Urteil vom 28.08.2018 – 28 U 1250/18 Bau[]
  7. LG München II, Urteil vom 14.03.2018 – 5 O 3577/13[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 06.06.1994 – II ZR 100/92, NJW-RR 1994, 131420; BGH, Urteil vom 14.07.1971 – V ZR 54/70, BGHZ 57, 47 21 ff.[]